Die Ausstellung Stolen Moments - ein Rückblick

Mit einer sehr gut besuchten Finissage endete am 21. November die Ausstellung Stolen Moments. Namibian Music History Untold. Es beginnt nun Teil zwei der Ausstellungsarbeit, nämlich die Verschiffung nach Namibia und die Kuration der Ausstellung für das Independence Memorial Museum in Windhoek, wo aller Voraussicht nach eine Dauerausstellung entstehen soll. Aino Moongo wird diese zusammen mit einer Kuratorin aus dem Museum erarbeiten. Derzeit laufen die Verhandlungen mit dem zuständigen namibischen Ministerium und der Verwaltung des Museums in Windhoek.

Die Finissage hat noch einmal viele Besucher:innen in die Wagenhallen gebracht, und dies trotz verschärfter Corona-Bedingungen. Der Musiker Leon Beukes im Gespräch mit Thorsten Schütte konnte als Zeitzeuge das Leben und Wirken der Bands einerseits und der Menschen in Namibia zur Zeit der südafrikanischen Besatzungsmacht andererseits mit Leben und Geschichten füllen.

Robin Bischoff, Vorsitzender des Kunstverein Wagenhalle, schreibt zum Abschluss der Zusammenarbeit: „Die Ausstellung wurde sehr positiv und mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, auch deutschlandweit. Es war uns eine Ehre, dass wir diese Ausstellung, mit einem wie ich finde, gesellschaftspolitisch sehr wichtigen Thema bei uns zeigen konnten.“

Für die namibische Kuratorin Aino Moongo war es durchaus eine Herausforderung, nicht nur, weil sie die Ausstellung von Bayreuth aus organisieren und kuratieren musste – sie macht dort an der Uni gerade ihren Master – sondern auch, weil die Wagenhallen durchaus eine Herausforderung an sich darstellen. Der recht neue Projektraum war organisatorisch noch nicht so gut aufgestellt, viele Detailfragen mussten erst intern geklärt werden und es gab kaum Routinen. Und dennoch war es sicher auch für die Verantwortlichen Robin Bischoff und Andrea Roggon ein Wagnis, das sie mit der Ausstellung eingegangen sind. „Der Projektraum,“ so Moongo, „ist ein erstaunlich großer und schöner Raum. Er ist für Kurator:innen wirklich eine Herausforderung und gleichzeitig ein Traum!“

Rückmeldungen von Besucher:innen

Insgesamt sechs Wochen war die Ausstellung täglich von 11 bis 20 Uhr geöffnet. Neben einem umfangreichen Veranstaltungsangebot mit Filmen und Diskussionsabenden wurden auch regelmäßige Führungen angeboten.

Ich hatte diejenigen gebeten, die die Ausstellung betreut und begleitet habe, nach ihren Erfahrungen mit Besucher:innen gefragt. Clarissa Griffiths, die den Hauptteil der Aufsicht führte, berichtet von Besucher:innen, die kaum etwas über Namibia und das südafrikanische Apartheidregime gewusst, aber dank der Ausstellung und der Musik Zugang gefunden hätten.

„Ein älteres Ehepaar kam am Anfang der Ausstellung, und hat sich mit Vergnügen den ganzen Tanzfilm Dance me this! angeschaut. Sie kamen in den letzten Tagen der Ausstellung wieder, um sich noch einmal die Musik anzuhören.“

Namafu Amutse, namibische Künstlerin und derzeit an der Filmakademie Ludwigsburg, hat ebenfalls an Wochenenden die Aufsicht bei der Ausstellung gemacht. Ihre Rückmeldung ist aus zweifacher Sicht interessant, da sie die Ausstellung mit professionellen Augen als Künstlerin einerseits, als Namibierin und damit Brückenbauerin zur Gegenwart der Ausstellungsthemen andererseits betrachtet. Sie schreibt:

„Die Arbeit in der Ausstellung hat mir wirklich Spaß gemacht, und in gewisser Weise war sie lebendig (mit all der Musik, die man im Hintergrund hören konnte), aber sie wurde noch lebendiger, als die Menschen tatsächlich mit der Musik interagierten. Es war wirklich schön, das echte Interesse und die Neugierde nicht nur an der Musik, sondern auch an ihrer Geschichte zu sehen.

An der Hörstation kam es immer wieder vor, dass zwei Leute sich jeweils ein Musikstück anhörten und vor Begeisterung der anderen zunickte und sie einlud, sich das Stück ebenfalls anzuhören. Dann begannen beide zur gleichen Musik zu wippen.

Es gab auch Besucher:innen, die selbst schon in Namibia waren und deshalb von der Ausstellung angezogen und neugierig gemacht worden waren. 

Eine Person kam, bevor sie ging auf mich zu und sagte, dass die Ausstellung, vor allem die Art und Weise, wie sie präsentiert werde, außergewöhnlich sei.

Obwohl ich aus Namibia stamme, habe ich die meisten Musikstücke noch nie gehört. Es war also auch für mich schön, die Musik selbst zu entdecken und zu erforschen. An Tagen, an denen nicht so viel los war, habe ich die Stationen erkundet und mich mit einigen der Künstler vertraut gemacht. Ich freue mich so sehr auf die Eröffnung der Ausstellung in Namibia, denn ich weiß genau, dass die Liebe und Wärme, die sie dort erfährt, magisch sein wird.“

Auch Aino Moongo hat Rückmeldungen erhalten, die einen Einblick in die Wirkung auf die Menschen geben, die die Ausstellung besucht haben:

"Beim letzten Besuch kam ich in Begleitung anderer Leute, und wir schafften es nicht, die gesamte Ausstellung innerhalb einer Stunde zu durchlaufen.  Ich habe beschlossen, allein wiederzukommen, um sie zu beenden… Nächste Woche bringe ich meine Mutter mit; ich glaube, sie wird diese Ausstellung sehr interessant finden… Danke, ja ich kenn mich aus, ich bin schon zum zweiten Mal hier… Wir sind nur wegen des Tanzfilms zurückgekommen… Ich bin mit meiner Familie zu Besuch in Stuttgart, und ein Freund hat mir von der Namibia-Ausstellung erzählt, die mich interessieren könnte... Ich wusste nichts von der Ausstellung, meine Kinder und ich wollten zu einer Vernissage gehen, aber wir waren zu früh dran und beschlossen, diese Ausstellung zu besuchen, während wir warteten, und jetzt, nach der Veranstaltung, wollten meine Kinder mehr sehen. Deshalb sind wir wieder hier…“

Medienecho

„Ich muss jedoch sagen, dass sowohl die Vernissage als auch die Finissage gut besucht waren.  Ich schätze die Reden der Redner:innen, den Auftritt der Band und die Getränke- und Snackbar. 

Aber ich bin äußerst unglücklich darüber, dass die Medien nur unser Ausstellungsmaterial, also Archivmaterial, verwenden wollten, um für die Ausstellung zu werben oder über sie zu schreiben!  Ich hätte es besser gefunden, wenn nur eine kleine Auswahl von Bildern für eine begrenzte Zeit vor der Eröffnung der Ausstellung zur Verfügung gestellt worden wäre. Sobald die Ausstellung eröffnet war, hätten die Medien sie auf eigene Faust besuchen und Fotos machen sollen; oder wir hätten ihnen Fotos der Ausstellung mit kuratierten Informationen schicken können… Meiner Meinung nach als Kuratorin ist viel verloren gegangen, was die Ausstellung selbst anbelangt. Ich glaube, keiner von ihnen hat über die Ausstellung geschrieben, sie haben ihre Veröffentlichungen nur auf alte Erzählungen über das Projekt im Allgemeinen gestützt und das liegt daran, dass die meisten von ihnen sich nicht die Mühe gemacht haben, die Ausstellung zu besuchen oder den Kontext zu verstehen.“

Und dennoch haben einige Medien über den Inhalt der Ausstellung und über die Geschichte der Musik geschrieben, selbst das renommierte Magazin ART berichtete in seiner Januarausgabe noch über das Projekt – jedoch nicht, wie Aino bereits beschrieben hat, über die Kuration, die Umsetzung in Stuttgart.

Back to the roots

Das Rechercheprojekt Stolen Moments hat eine lange Geschichte, es begann bereits 2016. Das, was in Stuttgart zu sehen und zu hören war, ist sozusagen das flüchtige Ergebnis, das für eine kurze Zeit in Stuttgart hör- und sichtbar geworden ist. Diese eine Ausstellung hat im Rahmen der Namibia-Initiative des Landes Baden-Württemberg stattgefunden. Staatssekretärin Petra Olschowski schreibt in ihrem Grußwort für die Begleitbroschüre: „Um die Beziehungen zu vertiefen, haben wir als Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst unter dem Schirm der Namibia-Initiative eine ganze Reihe deutsch-namibischer Partnerprojekte gestartet, die die Gesellschaften beider Länder einander näherbringen sollen. Damit soll das Fundament für die konsequente Aufarbeitung unserer schwierigen gemeinsamen Vergangenheit gelegt werden und Kooperationen für die Zukunft geknüpft werden. Es freut mich sehr, dass wir durch das Projekt „Stolen Moments“ einen weiteren wichtigen Baustein für die Initiative gewinnen konnten. Durch den stetigen Austausch wollen wir einen Beitrag zum deutsch-namibischen Versöhnungsprozess leisten. Daher bin ich besonders glücklich, dass die Ausstellung mit Unterstützung des Ministry of Education, Arts and Culture in Namibia dauerhaft der Öffentlichkeit in Windhoek zugänglich gemacht wird. Dadurch kann das Ausstellungsprojekt vor Ort die Anerkennung des namibischen musikalischen Erbes erreichen und eine einende Wirkung auch in der namibischen Gesellschaft entfalten.“[1]

Der weit wichtigere Teil dieses Projektes liegt jetzt vor uns: Dieses wichtige Stück kollektiver Erinnerung muss den Menschen in Namibia zugänglich gemacht werden. Eine Dauerausstellung in einem renommierten Museum mit hoffentlich einem dauerhaften Begleitprogramm - vielleicht auch einer Wanderausstellung, um nicht nur Menschen in Namibias Hauptstadt zu erreichen - wird in den nächsten Monaten umzusetzen sein. Es bleibt spannend.

[1] https://www.kasa.de/publikationen/detail/namibia-gestohlene-vergangenheit-verhinderte-zukunft/