Nama und Ovaherero lehnen 28. Mai als nationaler Genozid-Gedenktag in Namibia ab

Statement des Bündnisses ‚Völkermord verjährt nicht‘

Dieses Jahr jähren sich zentrale Ereignisse des Völkermords an den Ovaherero und Nama, wie das Gefecht von Ohamakari in der Nähe des Waterbergs und der Vernichtungsbefehl von Lothar von Trotha gegen die Ovaherero zum 120. Mal. Die Kolonialverbrechen im damaligen Deutsch-Südwestafrika werden heute als erster Genozid des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Dennoch gab es auch im Kalender der postkolonialen namibischen Nation bisher keinen offiziellen Gedenktag, der an die rund 100.000 ermordeten Ovaherero und Nama erinnert, ganz zu schweigen von den San und Damara.

Ende Mai verkündigte die namibische SWAPO-Regierung, dass fortan der 28. Mai den nationalen Gedenktag des Völkermords an den Ovaherero und Nama bilden soll. Doch das von der namibischen Regierung gewählte Datum ist bei den Partnerorganisationen unseres Bündnisses ‚Völkermord verjährt nicht‘ auf große Ablehnung gestoßen. Am 28. Mai 1908 schloss die deutsche Kolonialmacht in Deutsch-Südwestafrika formell die verschiedenen Konzentrationslager. Das Zwangsarbeitsregime unterdes ging weiter.

Die Nama Traditional Leaders Assocation (NTLA) erinnerte , dass am 28. Mai 1908 die genozidale Gewalt der deutschen Kolonialmacht gegen das Volk der Nama keinesfalls endete: „Wir die traditionellen Führer der Nama sind überzeugt, dass in der Folge der Schließung der Konzentrationslagern die Zwangsumsiedlung der Nama in sogenannte ‚Eingeborenenreservate‘ begann, von welchen aus die Nama zur Zwangs- und Sexarbeit für die neuen weißen Kolonialherren missbraucht wurden“, heißt es in einem Statement der Nama Oberhaupte. Paramount Chief Prof. Mutjinde Katjiua von der Ovaherero Traditional Authority (OTA) schließt sich der Kritik an: „Der 28. Mai war jener Tag, an dem das Volk der Ovaherero in die Sklaverei überführt wurde. Es ist wichtig zu bedenken, dass es keine Rückführungspläne für die Überlebenden der Konzentrationslager gab, um an ihre ursprünglichen Wohnorte zurückkehren zu können, auch weil Siedlungen zerstört und Grund und Boden durch formelle Proklamationen enteignet wurden“.

Die NTLA betont, dass der Genozid gegen die Ovaherero und Nama keineswegs erst 1904 begonnen habe. Bereits das Massaker von Hornkranz am 12. April 1883 unter dem deutschen Offizier Curt von François habe die Vernichtung der Witbooi Nama zum Ziel gehabt. Für die Ovaherero bildet der 2. Oktober 1904 einen zentralen Gedenktag, welcher an den Vernichtungsbefehl Lothar von Trothas gegen das Volk der Ovaherero erinnert. Sowohl die NTLA als auch die OTA fordern daher, dass der nationale Völkermord-Gedenktag in Namibia jene Daten widerspiegeln soll, an denen die Vernichtungsabsicht gegen die Ovaherero und Nama durch die deutsche Kolonialmacht erklärt wurde.

Wir stehen in Solidarität mit der NTLA und OTA und unterstützen ihre Forderungen in den Auswahlprozess für einen nationalen Gedenktag einbezogen zu werden. Für sie sind transparente und partizipative Entscheidungsfindungsprozesse von zentraler Bedeutung, um die nationale Einheit zu konsolidieren. Dies ist umso wichtiger im Kontext der Ende diesen Jahres stattfindenden nationalen Wahlen.

Unser Bündnis unterstützt die grundsätzliche Idee der Schaffung eines nationalen Gedenktags als wichtiger Baustein der Erinnerung an den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts. Allerdings muss der gewählte Tag im Einklang mit der Erinnerungskultur der Organisationen der Ovaherero und Nama stehen. 

Gemeinsam mit Organisationen, wie der NTLA und OTA, setzen wir uns als Bündnis ‚Völkermord verjährt nicht‘ für die vollständige Ankerkennung des Völkermordes an den Ovaherero und Nama ein. Der Genozid muss auch endlich in Deutschland aufgearbeitet und erinnert werden. Außenministerin Annalena Baerbock warf ironischerweise bei der Buchvorstellung ‚Das Auswärtige Amt und die Kolonien‘ am 5. Juni folgende Aussage in den Raum: „Wie sollten wir heute Partnerschaften für die Zukunft schließen, wenn wir diesen Teil unserer Geschichte einfach negieren würden? Wenn wir sagen würden: Unsere Verantwortung für Euer Leid interessiert uns nicht“.

Wir als Bündnis fordern Frau Baerbock und die deutsche Regierung dazu auf, endlich echte Verantwortung für den Völkermord an den Ovaherero und Nama zu übernehmen. Dies heißt konkret, die Kolonialverbrechen in Namibia juristisch als Völkermord anzuerkennen und gemeinsam mit den Vertreter*innen der Ovaherero und Nama auf Augenhöhe über Entschädigungszahlungen zu verhandeln.