Je nachdem, in welcher Blase wir uns bewegen, wird das kleine, von Südafrika umschlossene Land mit seinem alten, englischen Namen „Swaziland“ oder mit der Übersetzung in Siswati, „eSwatini“ bezeichnet. 2018 beschloss König Mswati III. anlässlich seines 50. Geburtstags - der zugleich mit dem 50. Jahrestag der Unabhängigkeit des Landes zusammenfiel - den Landesnamen zu ändern. Der Menschenrechtsanwalt Thulani Maseko leitete ein Gerichtsverfahren gegen die Regierung ein, weil sie weder die Öffentlichkeit konsultiert noch das Parlament in diese Entscheidung einbezogen hatte. Am 21. Januar 2023 wurde Maseko unter bislang ungeklärten Umständen erschossen. Um sein Andenken zu ehren, verwenden wir weiterhin den Namen „Swasiland“ und reihen uns ein in viele Organisationen, die auf diese Weise ein politisches Statement gegen die absolute Herrschaft des Königs setzen wollen.
In der letzten absoluten Monarchie auf dem Kontinent steht der König nicht nur über dem Gesetzt, er beutet auch die Wirtschaft und die Ressourcen des Landes für seine privaten Zwecke aus. Der Luxus, in dem er und seine Familie leben, steht in diametralem Gegensatz zu der Armut der Mehrheit der Bevölkerung. Die wenigen vorhandenen Arbeitsplätze – und natürlich besonders die lukrativen Regierungsämter – gehen ausschließlich an die royalen Familienmitglieder, unabhängig von deren jeweiligen Qualifikationen. Die meisten Menschen haben kaum das Nötigste zum Überleben und sowohl der Bildungssektor als auch die medizinische Versorgung waren schon vor dem Ausstieg von USAID aus den Programmen unterversorgt und zusammengebrochen. Es fehlt das Geld für Schulspeisungen, Stipendien werden nicht ausbezahlt und in den Krankenhäusern gibt es keine Medikamente mehr.
Bei unserer diesjährigen Dienstreise ins Südliche Afrika trafen wir – Boniface Mabanza und ich - in Johannesburg Vertreter:innen verschiedener Organisationen aus Swasiland, die im Exil in Südafrika leben. Organisiert hatte das Treffen ein langjähriges Mitglied des Swasiland Youth Congress (SWAYOCO) im Büro des Swazi Solidarity Network. Das kleine Büro befindet sich in Räumen der kommunistischen Partei Südafrikas, die zusammen mit dem Dachverband der Gewerkschaften 1994 ein Bündnis mit dem ANC eingegangen ist. Viele der Anwesenden waren an den Demonstrationen im Juni 2021 beteiligt, bei denen mindestens 50 Menschen erschossen wurden. Andere der über 500 Protestierenden wurden später weiterverfolgt und bedroht, so dass sie sich dazu entschlossen, ins Exil nach Südafrika zu gehen.[1] Eine dritte Gruppe ist seither inhaftiert, ohne einem Richter vorgeführt worden zu sein. Die Haftbedingungen sind verheerend und die comrades im Exil versuchen, von dem wenigen, das sie verdienen, etwas für sie bereitzustellen und ihnen notwendige Medikamente aus Südafrika über die Grenze zu schmuggeln.
Später, in Swasiland selbst, trafen wir Mütter der Inhaftierten. Sie verstehen nicht, warum ihre Söhne im Gefängnis sitzen, warum sie bei den Protesten waren und was sie verbrochen haben. Es ist der schmerzliche Verlust eines potentiellen Versorgers, die Scham, das Ausgestoßen sein aus der eigenen Community, weil ein Verräter in der Familie im Gefängnis sitzt, was den Frauen die Tränen in die Augen treibt. Es fehlt an allem, vor allem an Solidarität innerhalb der eigenen Familie. Die Betroffenen kennen einander nicht, erzählen hier das erste Mal von ihrem Schmerz. Es gibt keine Organisation wie beispielsweise Khulumani in Südafrika, die sich um die Witwen und Hinterbliebenen des Marikana Massakers kümmert. Sie wissen nicht, wo sie rechtlichen Beistand erhalten können. Vor allem aber haben sie nie mit ihren Kindern über deren Motive sprechen können.
Es gibt zwar die Swaziland Massacre Victims and Survivors Association (SWAVISA), die es sich unter anderem zum Ziel gemacht hat, die Familien zusammen zu bringen, doch scheint dies nur bedingt zu funktionieren. Die Mitglieder von SWAVISA sagen von sich selbst: „We are survivers, we survived victimisation.“ Bongani Kunene, den alle mit seinem Straßennamen „Madzabudzabu“ ansprechen, ist einer von ihnen. Unsere Universität, so sagt er, war die Straße. „Wir kämpfen dafür, selbst Entscheidungen über unsere Zukunft treffen zu können.“ Sein vorrangiges Ziel ist die Abschaffung des Dekrets von 1973, in dem der damalige König politische Parteien verbot. Wenn dies erreicht sei, müssen die Menschen in Swasiland zusammenkommen und über ihre politische Zukunft diskutieren. Ob es dann ein Mehrparteiensystem oder eine Alternative dazu gibt, lässt er offen. Zu viele Enttäuschungen haben die einfache Übernahme des westlichen Parteiensystems für die umliegenden Länder gebracht, zu viel wird jetzt schon innerhalb von Organisationen, die eigentlich Parteien sein wollen, gestritten. Für SWAYOCO, die als Jugendorganisation von PUDEMO sich selbst als Teil einer Partei versteht, ist das erklärte Ziel ihrer Kampagnen ohne Frage ein Mehrparteiensystem. Andere, etwa Mitglieder der Swazi Lives Matter-Bewegung, verstehen sich als nicht politisch. Doch weil sie sich für Gerechtigkeit in Swasiland einsetzen, leben sie jetzt im Exil.
Während es etwa Simbabwer:innen über das Zimbabwe Exemption Permit (ZEP) einfacher möglich ist, eine Arbeitserlaubnis in Südafrika zu erhalten, hat sich die Regierung Swasilands bisher geweigert, ein solches Abkommen mit Südafrika abzuschließen. So sind die jungen Menschen gezwungen, in der Illegalität zu leben, mit der täglichen Gefahr, aufgegriffen und abgeschoben zu werden. Ihre Jobs sind prekär. Dennoch finden sie sich in Solidaritätsgruppen zusammen, demonstrieren in Südafrika vor der Botschaft von Swasiland oder organisieren eine Kampagne, in der sie Gerechtigkeit fordern. Wohl wissend, dass Südafrika über die Mittel verfügt, den König zum Einlenken zu drängen, dass aber gleichzeitig die wirtschaftlichen Interessen und Verflechtungen zu groß sind. Und jetzt hat auch noch der ehemalige südafrikanische Präsident Jacob Zuma seine eigene Tochter mit König Mswati verheiratet, womit die Verbindung der Volksgruppe der Zulu mit den Swati noch verstärkt wurde.
Eine ganz andere Stimmung herrschte bei den Frauen der Swaziland Rural Women’s Assembly, die wir in Manzini besuchten. Vordergründig beschäftigen sie sich mit dem Erhalt traditionellen Saatguts und Einkommen schaffenden Maßnahmen, doch eigentlich geht es um Landenteignungen, einem afrikanischen Verständnis von Feminismus, dem Kampf gegen Gender Based Violence und allgemeiner Menschenrechtsarbeit. Sie sind mit anderen Landfrauenorganisationen verbunden und versuchen so, auch auf der SADC-Ebene Solidarität für die Situation in Swasiland zu gewinnen.
Auch im Kirchenrat CSC, der der Frauenorganisation ein Büro untervermietet, ist ein anderer Kampfgeist zu spüren. Der Generalsekretär Vusi Kunene sieht die Verstrickung des Königs in sämtliche wirtschaftliche Aktivitäten des Landes als eines der größten Herausforderungen. Mswati gehören etwa jeweils 25% der Minen, gleichzeitig zahlt er aber keine Steuern. Zucker und Rindfleisch werden in die EU exportiert. Hier könnte ein Hebel für mehr Solidarität, für Einfluss auf den König ausgelotet werden, vorausgesetzt, die EU nimmt ihre eigene menschenrechtliche Sorgfaltspflicht ernst.
Der CSC bietet Rechtsberatung an, aber auf Nachfrage bei den Müttern der Inhaftierten scheint die Hürde, dort um Rat oder Hilfe zu fragen, zu hoch. Vielleicht liegt da ein konkreter Ansatzpunkt für die KASA als Vermittlung zur Verfügung zu stehen.
Immer wieder war bei unseren Gesprächen die Landfrage Thema: Land wird vom König oder von mit der königlichen Familie verbundenen Unternehmen enteignet, die Gesetzte werden nicht umgesetzt, Frauen haben nach wie vor keinen Zugang zu Land und es gibt keine Rechtssicherheit. Gleichzeitig wird die Landwirtschaft durch den Klimawandel immer prekärer. Und dabei ist nach wie vor die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung von der Landwirtschaft abhängig.
Mehr Solidarität, mehr internationale Wahrnehmung der Situation, voice and space ist der Tenor all unserer Begegnungen. Der Druck auch aus Europa muss sich verstärken, die SADC und dort vor allem Südafrika kann Einfluss nehmen, wenn sie will. Darüber hinaus müssen wir Menschenrechtsverteidiger:innen schützen helfen, sie sichtbar machen, bevor sie ermordet werden.
[1] Siehe mehr dazu in weiteren Artikeln https://woek.de/index.php/component/finder/search?q=swasiland&Itemid=152