Warum der 28. Mai kein geeigneter Gedenktag für den Genozid an den OvaHerero und Nama ist
Heute wird in Namibia zum ersten Mal ein nationaler Gedenktag begangen, der an den von deutschen Kolonialtruppen verübten Völkermord an den OvaHerero und Nama erinnern soll. Die namibische Regierung hatte vor gut einem Jahr den 28. Mai als Datum festgelegt – mit dem Verweis darauf, dass am 28. Mai 1908 die deutschen Kolonialbehörden die Konzentrationslager im damaligen Deutsch-Südwestafrika aufgelöst hätten.
Doch gerade aus den betroffenen Gemeinschaften selbst kommt deutliche Kritik. So lehnen unter anderem die Ovaherero Traditional Authority (OTA) und die Nama Traditional Leaders Association (NTLA) das Datum entschieden ab – mit Verweis auf historische Ungenauigkeit, politische Instrumentalisierung und die Fortsetzung von Ausgrenzung.
Zum einen kritisieren sie, dass das Datum top-down, also ohne Konsultation oder ausreichende Einbeziehung der betroffenen Gruppen, von der Regierung bestimmt wurde. Zum anderen weisen sie darauf hin, dass die Schließung der Lager – die kein eindeutig datierbares historisches Ereignis darstellt[1] – keineswegs das Ende des kolonialen Terrors bedeutete. Sie betonen, dass viele Überlebende im Anschluss in sogenannte „Eingeborenen-Reservate“ und Zwangsarbeitsverhältnisse überführt wurden, die de facto einer staatlich organisierten Versklavung gleichkamen.
„Die Gefangenen wurden nicht befreit, sie kehrten nicht zu ihren Familien zurück, sie bekamen ihr Land nicht zurück, sie bekamen ihr Vieh nicht zurück, sie bekamen ihr Leben nicht zurück, also woran erinnern wir uns bei der Schließung der Konzentrationslager?“, fragt die Jugendvertretung der NTLA.
Für viele ist der 28. Mai daher kein Tag der Befreiung oder würdiger Erinnerung, sondern vielmehr ein Symbol der Fortsetzung kolonialer Gewalt in neuer Form. Ihn zum offiziellen Gedenktag zu erklären, empfinden viele OvaHerero- und Nama-Gemeinschaften als geschichtsverfälschend und entwürdigend.
Hinzu kommt: Am 28. Mai 2021 wurde auch das sogenannte Versöhnungsabkommen zwischen Deutschland und Namibia vom damaligen Außenminister Heiko Maas in Deutschland öffentlich vorgestellt.[2] Auch dieses Abkommen wird von vielen Nachfahr:innen der Opfer abgelehnt – unter anderem wegen des Ausschlusses von Reparationen, der mangelhaften Einbindung der betroffenen Communities und einer Sprache, die vollumfängliche Täterverantwortung vermeidet.
Statt des 28. Mai fordern viele OvaHerero und Nama, das Gedenken auf konkret historisch belastbare Daten zu stützen – Daten, die mit ihren eigenen Geschichten, Erfahrungen und Erinnerungen übereinstimmen.
So betont beispielsweise Nandiuasora Mazeingo von der OvaHerero Genocide Foundation gegenüber der Zeitung The Namibian das Datum an dem General von Trotha den berüchtigten Vernichtungsbefehl gegen die OvaHerero aussprach:
„Wir erinnern uns an den 2. Oktober 1904 als den Tag, an dem die ‚genozidale Absicht‘, uns von der Erdoberfläche auszulöschen, ausgesprochen wurde – und haben ihn daher ganz bewusst als den Tag gewählt, an dem wir offiziell des Völkermords gedenken, den wir nur knapp überlebt haben.“[3]
Auch der 12. April wird als mögliches alternatives Gedenkdatum diskutiert, da an diesem Tag 1883 das Massaker von Hornkranz unter dem deutschen Offizier Curt von François die Vernichtung der Witbooi Nama zum Ziel gehabt habe. Viele Nama betrachten den 12. April daher als eine zentrale Wegmarke von Widerstand und Würde.
Ein angemessener Gedenktag muss aus der Perspektive der betroffenen Gemeinschaften selbst bestimmt werden – nicht über ihre Köpfe hinweg. Nur dann kann Erinnerungspolitik tatsächlich ein Raum für Gerechtigkeit, Heilung und Anerkennung sein.
[1] Das zeigt sich auch daran, dass in unterschiedlichen seriösen namibischen und deutschen Medien sowohl die Jahreszahl 1907 (vgl. u. a. https://neweralive.na/historic-genocide-remembrance-day-tomorrow/; https://www.namibian.com.na/namibia-marks-colonial-genocide-for-first-time-with-memorial-day/; https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/namibia-gedenken-genozid-100.html) als auch die Jahreszahl 1908 kursieren (vgl. u. a. https://www.namibian.com.na/28-may-is-important-on-the-genocide-timeline/; https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/gedenken-herero-und-nama-2350348). Dies unterstreicht die Absurdität der Festlegung auf dieses Datum.
[2] https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/2463396-2463396
[3] https://www.namibian.com.na/ovaherero-nama-reject-genocide-remembrance-day/?fbclid=IwZXh0bgNhZW0CMTEAAR6iTfrpPdqsm141T0rCgBslqPsGaLzUZqXjU67TaDVwwSinWJGdqaJdPXaulw_aem_OQimu9GdGlZz_RUGzW145w&sfnsn=wa