Trotz der späten Stunde – Freitag, 17 Uhr – war aufmerksames Zuhören statt Wochenendstimmung in der ECCHR-Kantine angesagt: Rund 50 Personen vor Ort und weitere 20 online verfolgten die Veranstaltung „Verhandlungen ohne die Betroffenen? Versöhnung ohne Gerechtigkeit?“, zu der das Bündnis „Völkermord verjährt nicht“ eingeladen hatte. Im Mittelpunkt standen die anhaltenden Kämpfe der Nama und Ovaherero um Anerkennung und Gerechtigkeit für den Völkermord, den das Deutsche Kaiserreich zwischen 1904 und 1908 in Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) an ihren Bevölkerungsgruppen verübte.
„Everything about us, without us, is against us!“
Paul Thomas, Sprecher der Nama Traditional Leaders Association (NTLA), schilderte, warum das zwischen 2015 und 2021 von Deutschland und Namibia ausgehandelte (aber noch nicht ratifizierte) „Versöhnungsabkommen“, von den betroffenen Gemeinschaften als „Beleidigung“ empfunden wird: Erstens seien die betroffenen Communities nicht in die Verhandlungen einbezogen worden, zweitens erkenne Deutschland nicht vollumfänglich an, was es getan habe. Statt eines klaren Schuldeingeständnisses spreche die deutsche Seite lediglich aus „heutiger Perspektive“ von Völkermord.
Während deutsche Politiker von Versöhnung sprechen, fragte er: „How do I look the perpetrator in the eye, while he is still denying what he has done? The perpetrator must admit what he did was wrong before I can forgive.” Kritisch wies er zudem auf die Haltung der Bundesregierung hin, die sich weigere, Reparationen an die betroffenen Gemeinschaften zu zahlen, und machte unmissverständlich klar: „We want justice before reconciliation! Acknowledge – it was a genocide! Apologize! Pay reparations!“
Thomas forderte einen Neustart der Verhandlungen – einen Neustart, den die betroffenen Gemeinschaften selbst in die Hand nehmen wollen. Hierfür haben sie unter anderem vor dem High Court in Windhoek Klage gegen das Versöhnungsabkommen eingereicht: es müsse annulliert werden, weil es gegen namibisches und internationales Recht verstoße. Dabei betonte Thomas auch die symbolische Bedeutung des Prozesses, in dem auch Deutschland mit angeklagt ist: „Even if Germany does not appear, they are being brought before a court in their former colony. And we, the people they tried to exterminate – but did not succeed – we are the ones bringing them to justice.“
Das Recht auf Reparationen
Almaz Teffera (Human Rights Watch) ergänzte die Diskussion um eine völkerrechtliche Perspektive: Das Recht auf Wiedergutmachung verpflichte die Täter von Menschenrechtsverletzungen, den Opfern angemessenen, wirksamen und zeitnahen Ausgleich zu leisten. Dieses Recht bestehe unabhängig davon, ob es sich um ein internationales Verbrechen wie Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit handele. Reparationen müssten sowohl bei jüngeren Menschenrechtsverletzungen gegen Einzelpersonen als auch bei Verbrechen, die viele Jahre zurückliegen und ganze Bevölkerungen betreffen, gewährt werden. „The right to reparation is a long-standing, well-established principle of justice, widely accepted among states – many have even enshrined it in domestic law,“ betonte sie.
Teffera unterstrich, dass Reparationsansprüche nicht durch eine enge, kolonial geprägte Auslegung des internationalen Rechts blockiert werden dürften: „Doctrines of international law themselves need to be decolonized and should never be interpreted in a way that creates a barrier to reparations.“ Sie verwies zudem auf den jüngsten Bericht des UN Hochkommissars für Menschenrechte, der die Dringlichkeit von Reparationen erneut bekräftigt.
Das Recht indigener Völker auf Selbstbestimmung
Andrea Pietrafesa (ECCHR) erinnerte an die rechtliche Verpflichtung aus dem von Deutschland und Namibia ratifizierten Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie aus der von Deutschland ratifizierten ILO-Konvention 169, die die Selbstbestimmungsrechte indigener Völker schützen und ernsthafte Konsultationsprozesse verlangen, wenn es um Angelegenheiten geht, die die Rechte der indigenen Völker betreffen könnten: „FPIC – Free, Prior and Informed Consent – is a state obligation. And that also means: the right to say no.“
Sie betonte, dass Entschuldigungen ohne echten Machtwandel („powershift“) bedeutungslos bleiben und kritisierte die deutsche Abwehrhaltung bei Reparationen, während sogar wirtschaftlich schwächere Staaten wie Paraguay solche Ansprüche umsetzen. Auch sehe man, dass Deutschland noch immer nicht verstanden habe, wie man ernsthaft Verantwortung übernimmt. So zeige das auch von Deutschland vorangetriebene geplante Wasserstoffprojekt, welches auf angestammtem Land („ancestral land“) stattfinden soll, welches den Nama im Zuge des Genozids geraubt wurde, „eine neue Ebene kolonialer Kontinuität“. Pietrafesa unterstrich jedoch die Macht, die Gemeinschaften haben können, Widerstand zu leisten und die Kräfteverhältnisse in Frage zu stellen: “Communities have the power to shift power relations, as shows the withdrawal of RWE from the green hydrogen project.”, so Pietrafesa.
Ein vorsichtig-hoffnungsvoller Ausblick in die Zukunft?
Moderator Yannick Müller fragte zum Abschluss, was den Panelist:innen Hoffnung für die Zukunft im Kampf um Reparationen gebe. Andrea Pietrafesa antwortete: „The youth leadership within NTLA gives me hope for the future.” Almaz Teffera ergänzte: „If the African Union and Caribbean states can ensure that their approach to reparations is grounded in human rights and centers communities, then this will provide tools of enforcement for communities across both regions in their struggle for reparations.“ Paul Thomas schloss: „Germany wanted to exterminate our forefathers – but still we are here! And therefore I see hope in the struggle!“
Am Ende blieb das Gefühl, dass diese Diskussionsrunde nur ein Anfang sein kann, um die Debatte um Reparationen für koloniales Unrecht in Deutschland sichtbarer zu machen und voranzubringen.
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Herzlicher Dank an die Organisator:innen des Events: Nama Traditional Leaders Association, European Center for Constitutional and Human Rights, Gesellschaft für bedrohte Völker, Werkstatt Ökonomie e. V., Decolonize Berlin & Attac Deutschland.

